Lieber Leser,
eine skurrile, aber doch typisch französische Situation: Ein amtierender Staatspräsident, mit Verweis auf die gleiche Vorgehensweise seiner Vorgänger, weigert sich, seine Kandidatur für die auf Ende April/Anfang Mai 2012 festgelegte Wahl offiziell anzukündigen. Trotzdem läuft der Wahlkampf bereits auf vollen Touren und ist mittlerweile auf der Zielgeraden angekommen.
Die Chancen von Nicolas Sarkozy – soweit er auch tatsächlich Kandidat sein sollte, wovon jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit auszugehen ist – stehen, 80 Tage vor dem Wahltermin nicht gut. Alle Umfragen geben derzeit dem sozialistischen Herausforderer François Hollande einen klaren Vorsprung.
Im Rahmen einer Veranstaltung am 26. Januar 2012 stellte nun dieser sein 60 Punkte umfassendes Programm vor: Frankreich, das bereits heute als ein absolutes Hochsteuerland einzuordnen ist, soll weitere Steuererhöhungen von 30 Mrd. € verkraften. Dieser Anstieg soll im Wesentlichen von „wohlhabenden“ Steuerbürgern und großen Unternehmen getragen werden. Das Renteneintrittsalter soll wieder auf 60 Jahre zurückgeführt werden. Die Begrenzung des Budgetdefizits von 3% soll aber weiterhin in 2013 erreicht werden.
Die Replik des noch nicht offiziellen Kandidaten Sarkozy ließ nicht lange auf sich warten. In einem mit zwei Journalisten geführten Fernsehinterview (29. Januar 2012) wurde ein komplettes Gegenprogramm dargelegt: Frankreich müsse schnellstens seine verloren gegangene Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. Durch die Senkung der Arbeitgeberbeiträge ab 1. Februar 2012 um 5,4 Punkte könnten die Lohnstückkosten reduziert werden. Der dabei entstehende Fehlbetrag könne durch eine im Oktober 2012 durchgeführte Mehrwertsteuererhöhung um 1,6 Punkte ausgeglichen werden; damit läge der Höchstsatz dann bei 21,2% (bisher 19,6%). Des Weiteren soll durch Mehrheitsabstimmung innerhalb eines Unternehmens im Krisenfall eine Anpassung der Arbeitszeit möglich sein, losgelöst von der 35-Stundenwochenregelung.
Es wird sich in den nächsten Wochen zeigen, welche Richtung, die des Sozialisten Hollande oder die des derzeitigen Präsidenten, die größeren Aussichten hat, eine Mehrheit zu finden. Der Handlungsspielraum von Nicolas Sarkozy ist sehr eng geworden.
Viel Spaß bei der Lektüre und einige Anregungen für die Tagesarbeit wünscht Ihnen
Ihre DiagnosticNews-Redaktion
Dr. Kurt Schlotthauer
kschlotthauer@coffra.fr